Der Tannenhof in Gampelen (BE) ist ein bio-zertifizierter Betrieb grossen Massstabs, der Innovationen nutzt, um den Biolandbau voranzubringen. Gleichzeitig leben dort Menschen in herausfordernden Lebenssituationen und gehen einer sinnstiftenden Tätigkeit nach.
Ein Hof, Gewächshäuser und eine Wohnanlage, vor der Obstbäume Spalier stehen, sind am Ende einer langen Zufahrtsstrasse zu sehen. Diese wird von Feldern mit Kartoffelfurchen und Rüebli gesäumt. Ist man am Gelände angekommen, begrüsst ein Schild: «Herzlich willkommen auf dem Tannenhof.»
Aufgaben und Struktur geben
Die Stiftung Tannenhof in Gampelen (BE) bietet, gemäss Stiftungszweck, Menschen mit psychischen und sozialen Problemen einen geschützten Raum zum Wohnen und eine sinnvolle Tätigkeit. Dabei wird auf ihre speziellen Bedürfnisse Rücksicht genommen; Bedürfnisse, die sie vom regulären Arbeitsmarkt meist ausschliessen. In der Hauswirtschaft, Schreinerei, in den Werkstätten oder in der Landwirtschaft erhalten sie klar definierte Aufgaben und damit eine zeitliche und örtliche Struktur. Sie leben betreut in Einzelzimmern oder teilbetreut in externen Wohnungen. In ihrer Freizeit können sie das Café auf dem Gelände besuchen, kreativ sein, bei Gesellschaftsspielen verweilen oder an Veranstaltungen des Tannenhofs mitwirken.
Erfolgsgeschichte biologische Landwirtschaft
Die Landwirtschaft ist seit 2011 in den Händen von Betriebsleiter und stellvertretendem Heimleiter Lukas de Rougemont (49). Auf einem Landwirtschaftsbetrieb aufgewachsen, absolvierte er nach der Berufslehre das Studium zum Agraringenieur an der Berner Fachhochschule BFH-HAFL. Die Erfahrung für eine soziale Einrichtung brachte der verheiratete Vater von vier Kindern aus einer vorhergehenden Anstellung in der «Stiftung Lebensart» Bärau im Emmental mit.
Die Flächen des Tannenhofs liegen in vier Kantonen: Bern, Waadt, Freiburg und Neuenburg. Dabei bieten sie sehr gute Bedingungen für den professionellen Acker- und Gemüsebau. Sie sind gross strukturiert, oftmals quadratisch, von guter Qualität und gut arrondiert. Bis 2016 wurde der Tannenhof konventionell geführt, dann stellte de Rougemont auf den biologischen Landbau um. «Es passt einfach zur Stiftung. Ich bin aber kein Idealist. Es muss sich wirtschaftlich lohnen und der Landwirtschaftsbetrieb sollte sich möglichst selbstständig tragen können, auch ohne Direktzahlungen», betont der Betriebsleiter. 2018 wurde der Tannenhof mit der Knospe zertifiziert. Die Zeit war günstig und für alle Produkte bestanden sofort Vermarktungsmöglichkeiten. Der Tannenhof baut mittlerweile zahlreiche Kulturen auf den Feldern und im Gewächshaus an, darunter Brot- und Futtergetreide sowie Körnermais und Kartoffeln für die fenaco.
Gemüsebau ist planbar
Das Team im Bereich Landwirtschaft besteht aktuell aus 13 Mitarbeitenden, 2 Lernenden, 1 Saisonier und 20 Bewohnenden. Der Gemüsebau im Gewächshaus ist ideal, um den Bewohnenden eine Struktur im Alltag zu geben. Zu tun gibt es das ganze Jahr über. Überraschungen sind selten und die Abläufe planbar und repetitiv. Die einen rüsten Knollensellerie, andere packen Gurken. Ein Bewohner bindet konzentriert Gurkenpflänzchen auf. Auf die Frage, was er an dieser Arbeit schätze, antwortet er lächelnd: «Weil das eine echte und rechte Arbeit ist.» Andere Bewohnende sind nicht gesprächig und bleiben lieber für sich. Viele von ihnen kämpfen mit grossen Problemen wie psychischen Erkrankungen, aber auch Alkohol- oder Drogensucht.
Eine arbeitspädagogische Ausbildung haben die Angestellten des Tannenhofs nur teilweise. Lukas de Rougemont fasst es pragmatisch zusammen: «Das Wichtigste sind die vier Ms: Man muss Menschen mögen.» Trotzdem sei es natürlich nicht immer einfach. «Es kann auch einmal sein, dass jemand trotz Abmachung nicht zur Arbeit erscheint. Die Lieferungen müssen aber trotzdem pünktlich raus», erklärt de Rougemont.
Teamarbeit und Freude an Innovationen
«Die grösste Herausforderung des Tannenhofs ist es, das Wirtschaftliche und das Soziale zu vereinen», sagt de Rougemont. Zudem sei die biologische Produktion in dieser Dimension und Vielfalt nicht ganz ohne. Hier kann de Rougemont aber auf ein motiviertes Team mit vielen Verantwortungsträgern und seinen Stellvertreter Christian Wüthrich (27) zählen. Um eine gute Übersicht der aktuellen Entwicklungen in der Landwirtschaft zu haben und weil er die Saatgutproduktion für elementar wichtig erachtet, engagiert sich de Rougemont in den Verwaltungsräten der Saatgutfirmen Semag und Delley Samen und Pflanzen sowie als Präsident des Schweizer Saatgutproduzentenverbands swisssem.
Die Freude an Innovationen trägt zum Erfolg des Betriebs bei. Dies ist besonders bei den elf Hektaren Bio-Zuckerrüben zu sehen. Die kleinen Rübenpflänzchen stehen Mitte Mai gut da, die Reihen ergeben eine perfekte Symmetrie und es befindet sich kaum Unkraut auf der Fläche. Der Feldroboter Farmdroid hat ganze Arbeit geleistet. Er hat die Zuckerrüben nach GPS-Daten gesät und kann über diese Koordinaten das Unkraut zwischen den Pflanzen in Perfektion jäten. De Rougemont hat Freude an der Zuckerrübenkultur und der Nutzung des Farmdroids: «Ich bin fasziniert von dieser Pflanze und dem Ertragspotenzial. Zudem ist sie eine perfekte Kultur in unserer Fruchtfolge.»
Fuss fassen in «Le Vallon»
Momentan grasen 35 Mutterkühe auf den Weiden des Tannenhofs. Diese Herde soll auf 60 erhöht werden und in naher Zukunft auf den Zweigbetrieb «Le Vallon» in Lignières (NE) ziehen. Über einen Zeitraum von 21 Jahren wurde dieser Betrieb im Eigentum der Stiftung von einer Pächtergemeinschaft genutzt. Seit Anfang 2023 wird er wieder durch den Tannenhof selbst und Betriebsleiter Danilo Lehmann bewirtschaftet. Der Betrieb wird überwiegend für den Futterbau genutzt, aber auch der Ackerbau auf rund 25 Hektaren hat einen wichtigen Stellenwert. Nun steht der Bau eines neuen Stalls an. Auch Wohnräume für Bewohnende sollen hier entstehen. Dies folgt wieder streng dem Stiftungszweck, Wohnraum und Arbeit zu ermöglichen.
Der Betrieb im Überblick
Gemeinden: Gampelen (BE) / Lignières (NE)
Höhe: Tannenhof etwa 430 m ü. M. | Le Vallon 900 m ü. M.
Fläche: Tannenhof: 143 Hektaren | Le Vallon: 88 Hektaren
Kulturen: 130 Hektaren offene Ackerflächen mit Speise- und Saatkartoffeln, Raps, Saat- und Brotweizen, Gerste, Triticale, Speise- und Saatsoja, Zuckerrüben, Buschbohnen, Chicorée (Wurzelanbau Freiland), Gemüse (Rüebli, Zwiebeln und Eschalotten, Sellerie, Lauch, Tomaten), Mais; 100 Hektaren Grünland mit Kunstwiesen, Buntbrache, Weiden, extensive Wiesen, extensive Weiden, Waldweiden, Naturwiesen, Obst, Beeren
Tiere: 35 Mutterkühe, 30 Weidebeef
LANDI: Mitglied der LANDI Seeland