Wie wichtig eine gesicherte Stromversorgung ist, hat uns der Winter 2023 gezeigt. Einer, der täglich mit Strom zu tun hat, ist Saverino Scelzo. Im Interview erklärt der Leiter Technische Beschaffung bei AGROLA, wie die Energiebeschaffung und -versorgung für die fenaco und für Drittkunden funktioniert.
Was machen Sie als Energiehändler?
Saverino Scelzo: Zusammen mit meinem vierköpfigen Team wickeln wir Stromgeschäfte ab. Und zwar entlang der ganzen Wertschöpfungskette. Wir gewinnen und beraten unsere Kunden, wir beschaffen und verkaufen Strom. Am Schluss rechnen wir den Strom ab. Diese Aufgaben übernehmen wir für die fenaco-LANDI Gruppe sowie für Dritte. Seit 2009 können ja Strombezüger mit einem Verbrauch von über 100 000 Kilowattstunden pro Jahr ihre Energielieferantin selber wählen.
Wie geht ihr bei der Beschaffung von Strom vor?
Strom ist wie Öl oder Gas ein Handelsgut. Die Marktmechanismen sind ganz ähnlich. Einfluss auf den Strompreis haben Faktoren wie Wetter, Verfügbarkeit, Feiertage oder Wartungen bei Produktionsbetrieben. Für die fenaco-LANDI Gruppe planen wir primär langfristig. Das heisst, den Grossteil des Stroms kaufen wir an der Strombörse jeweils drei Jahre vor Belieferung. Wir organisieren jeden Monat eine Tranche der berechneten gebündelten Beschaffungsmenge – ohne Zwischenhändler direkt am Grosshandelsmarkt. Dazu analysieren wir monatlich die Verbrauchsdaten und berücksichtigen Standorterweiterungen oder neue Photovoltaikanlagen. Die Richtlinien aus unserem Risiko- und Beschaffungshandbuch geben dabei die Leitplanken vor. Auf der Grundlage all dieser Parameter entstehen unsere Langzeitprognosen. Dieses Vorgehen ermöglicht es uns, zu einem möglichst guten Zeitpunkt und somit zu guten, stabilen Preisen einzukaufen.
Das klingt eigentlich gar nicht so kompliziert. Mit welchen Herausforderungen seid ihr konfrontiert?
Um die Schwankungen abzufedern, müssen wir den Stromverbrauch für die fenaco als Bilanzgruppe im Viertelstundentakt voraussehen. Überschuss verkaufen wir in der Nacht. Zusätzlich benötigte Energie kaufen wir kurzfristig auf dem sogenannten Spotmarkt ein. Wir brauchen also möglichst präzise Prognosen. Denn Abweichungen zwischen realem Verbrauch und Prognose kosten.
Sie haben eingangs die Drittkunden erwähnt. Wie funktioniert dieses Geschäft?
Mit Drittkunden gehen wir in der Regel Dreijahresverträge ein und nutzen die Synergien, die sich aus dem Zusammenspiel mit der fenaco-LANDI Gruppe ergeben: Wir gleichen fenaco-interne Verbrauchsschwankungen aus, indem wir gezielt Kunden suchen, deren Lastspitzen ausserhalb unserer Büro- oder Produktionszeiten liegen. Dazu zählen die Haushalte einer Gemeinde, Hotels oder Bäckereien. So glätten wir unsere Schwachlaststunden und können Drittkunden konkurrenzfähige Preise anbieten.
Der Schweizer Strommarkt ist seit 2009 teilliberalisiert. Die fenaco hat seit 2017 eine eigene Bilanzgruppe. Haben wir davon profitiert?
Ja, ganz klar. Mit dem Schritt aus der Grundversorgung in den freien Markt haben wir viel Geld gespart. Dank der Bündelung des Einkaufs und der Synergien mit Drittkunden erzielen wir eine höhere Verfügbarkeit und tiefere Preise.
Sie sprechen die Preise an. Während der Energiekrise im Winter 2023 schossen diese durch die Decke. Inwiefern war die fenaco davon betroffen?
Aufgrund der langfristigen Beschaffungsstrategie hatten wir einen Grossteil des Stroms bereits vor Jahren eingekauft. Die erforderliche Menge und der Preis waren somit garantiert. Die grössten Kostensteigerungen und Herausforderungen ergaben sich im kurzfristigen Spothandel für den Ausgleich der täglichen Differenzen. Diese Spotpreise haben sich teilweise verzehnfacht. Wir waren mit einer komplett neuen Situation konfrontiert. So etwas habe ich noch nie erlebt. Es waren enorm hektische und aussergewöhnliche Tage. Glücklicherweise hat sich die Situation mittlerweile stabilisiert, auch wenn es immer wieder Ausschläge nach oben gibt. Im Vergleich zur Zeit vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs haben sich unsere Energiekosten im Durchschnitt verdoppelt. Im Marktvergleich ist das moderat. Auf den Börsenplattformen verfolgen wir die Preisentwicklung für die nächsten drei bis vier Jahre. Die Preise entwickeln sich zurzeit in Richtung des Niveaus vor dem Ausbruch des Krieges.
Wie schätzen Sie die Versorgungssicherheit langfristig ein?
Die Energieversorgung ist dank der getroffenen Massnahmen im vergangenen Winter zurzeit sichergestellt. Beispielsweise mit alternativen Beschaffungsrouten für Gas im Ausland. In der Schweiz müssen wir aber dennoch einiges unternehmen, damit wir auch langfristig über genügend Strom verfügen. Zum Beispiel sollten wir den Ausbau der Photovoltaikinfrastruktur gesamtschweizerisch so schnell vorantreiben, wie wir es in der fenaco-LANDI Gruppe in den letzten Jahren getan haben. Denn die Dekarbonisierung bringt einen erhöhten Stromverbrauch mit sich. Indem wir Photovoltaikanlagen intelligent nutzen und zum Beispiel Elektroautos als Speicherbatterien einsetzen, können auch Verbraucherinnen und Verbraucher zu Produzentinnen und Produzenten werden. Auch bei AGROLA setzen wir stark auf erneuerbare Energien. Damit tragen wir zur Energiewende bei.
Von Energie fasziniert
Als die fenaco 2017 mit dem Aufbau der Geschäftseinheit «Neue Energien» startete, war Saverino Scelzo als Leiter Energiewirtschaft mitverantwortlich. Seit Anfang 2019 ist die Geschäftseinheit Teil von AGROLA. Der Wirtschaftsingenieur und Betriebswirtschafter mit Ausbildung im Maschinenbau ist seit diesem März auch stellvertretender Leiter Handel. Saverino Scelzo engagiert sich zudem in verschiedenen Gremien, die sich mit aktuellen Stromfragen beschäftigen. Innerhalb der fenaco unter anderem in der Projektgruppe «Strommangellage», die laufend die Entwicklung überwacht. Privat tankt der 50-Jährige Energie bei seiner Familie oder auf dem Fahrrad.
AGROLA im Stromgeschäft
Anzahl Kunden: 163, ein Viertel davon Drittkunden
Belieferte Verbrauchsstellen: 470
– davon mit PV-Eigenverbrauch: 100
– davon mit Microgrids (intelligente, lokale Energienetze): 4
Gehandelte Strommenge: rund 220 GWh pro Jahr