Michael Abbühl und seine Familie haben ihre Alp Seeberg im Diemtigtal (BE) in einer Feuersbrunst verloren. Der Wiederaufbau hielt den 42-jährigen Älpler in Atem. Mit Erfolg: 180 Tiere verbrachten den Sommer bereits wieder in der Höhe und die Käserei produzierte auf Hochtouren.
Grosse Dankbarkeit, Stolz, aber auch Müdigkeit zeichnen sich im Gesicht von Michael Abbühl ab. Es ist 11 Uhr an einem Augustvormittag und der Älpler legt die soeben entstandenen zwölf Laib Alpkäse à zwölf Kilogramm auf die Presse in der Käserei der Alp Seeberg im Berner Diemtigtal. Er verarbeitet bis zu 1500 Liter Milch pro Tag. Dass er seit 3.45 Uhr in der Früh auf den Beinen ist, um zuerst den Käse im Käsekeller zu pflegen, dann das Vieh von der Weide zu holen, im Stall und bei den Melkmaschinen zum Rechten zu sehen und sich danach dem Käsen zu widmen, ist keine Selbstverständlichkeit. Denn im vergangenen Frühherbst, am 15. September 2020, stand die Alp, die sich auf 1799 Metern über Meer am beliebten Ausflugsziel Seebergsee befindet und seit sechs Generationen von der Familie Abbühl-Gerber bewirtschaftet wird, in Flammen. Nach kürzester Zeit zerstörte das Feuer den über zweihundertjährigen Alpbetrieb, der den Stall, das Wohnhaus, die Käserei und den Käsekeller sowie das Bergbeizli unter einem Dach vereinte. Ursache war ein Kabelbrand. Michael Abbühl befand sich bei Brandausbruch frühmorgens im Freien und konnte deshalb seine Angehörigen alarmieren. Die Milchkühe und das Galtvieh, die Schweine und Pferde waren zwei Wochen zuvor ins Tal zurückgekehrt. Menschen und Tiere blieben also unversehrt. Dennoch: «Es ist ein brutaler Moment, wenn man realisiert, dass man nichts mehr retten kann», erinnert sich Michael Abbühl.
Zügiger Wiederaufbau
Michael Abbühl und seine Familie sind Kämpfernaturen. Es war Ehrensache, die Alp Seeberg auferstehen zu lassen. Beim Neuanfang halfen ihnen die enorme Solidarität der Menschen aus der Umgebung und Versicherungsgelder. Auch die fenaco-LANDI Gruppe leistete Soforthilfe: Dank des fenaco Nothilfefonds, der 2015 für landwirtschaftliche Not- und Härtefälle gegründet worden war, erhielt die Familie Abbühl mehrere tausend Franken – die LANDI Simmental-Saanenland steuerte einen Drittel an die gesprochene Gesamtleistung bei, die fenaco die restlichen zwei Drittel. «Die Unterstützung, die wir nach dem Brand von allen Seiten erfahren durften, motivierte uns, weiterzumachen», betont Michael Abbühl, der die Alp zusammen mit seinen Eltern, seinem Bruder Niklaus und seinem Cousin Ueli Gerber im Jahr 1996 von den Grosseltern übernommen hatte.
Anfang April 2021 startete die Älplerfamilie mit dem Wiederaufbau. Michael Abbühl war von fünf Uhr in der Früh bis nach Eindunkeln stets vor Ort. Auch der Bruder und der Cousin waren regelmässig zur Stelle. «Unser grosses Ziel war es, den Stall der Alp bis im Juli wiederaufzubauen, sodass 60 Kühe, 80 Rinder und Kälber, 40 Säue und fünf Pferde den Sommer wieder hier oben verbringen können», sagt Michael Abbühl. Die Familie war enorm erleichtert, als die zuständigen Behörden ihnen die Bewilligung für den Wiederaufbau zügig erteilten und keine Einsprachen erfolgten. Zwar hinderten die ungewöhnlich grossen Schneemassen, die noch bis in den Juni hinein in den Bergen lagen, am raschen Vorwärtskommen, doch seit dem 19. Juni stehen der Stall und etwas später auch das Wohnhaus, seit dem 18. Juli die Käserei und der Käsekeller und seit Anfang September die Beiz wieder. Letztere befindet sich neu etwas abseits von den übrigen Gebäuden. Die Käserei ist mit modernen Geräten ausgestattet und die Kühe haben anstelle des früheren Anbindestalls einen Laufstall mit Melkstand und 60 Liegeboxen erhalten. «Immer wieder mussten wir zuerst den Schnee von der Baustelle wegschaufeln, bevor wir mit der Arbeit weiterfahren konnten», erinnert sich Michael Abbühl. Er fügt an: «Wir haben in kurzer Zeit sehr viel erreicht. Die Bauleute haben den Wetterbedingungen getrotzt und Sensationelles geleistet. Aus einem Albtraum ist ein Traum geworden.» Michael Abbühl schnäuzt sich sichtlich gerührt die Nase und erzählt, wie auch Freunde, Bekannte oder gar Unternehmer aus dem Tal in ihrer Freizeit auf die Alp kamen, um mit anzupacken. Der 42-Jährige legte selber Hand an, wo er konnte. Dabei kamen ihm die Erfahrungen zugute, die er einst als Handlanger bei Zimmerleuten und Plattenlegern sammelte.
Alpleben als Leidenschaft
Älpler Abbühl verbrachte schon als kleiner Bub zusammen mit seinen Geschwistern und den Cousinen und Cousins jede freie Minute auf der Alp. Er half stets im Stall, bei der Tier- und Weidepflege mit. Er schaute seinem Grossvater beim Käsen über die Schulter, später seinem älteren Cousin, der zehn Sommer lang vom Grossvater das Käsen übernommen hatte. «Während mein Vater sich um die Tiere kümmerte, nahm mein Cousin meinem Grossvater die schwere Arbeit des Käsens ab. Er lehrte mich das schöne Handwerk», freut sich Michael Abbühl, der sich auch am Inforama Berner Oberland in Honrich zum Landwirt ausbilden liess. Der beliebte Alpkäse «Naturpark Diemtigtal» wird heute vom Käsehändler Eicher’s Söhne aus Oberdiessbach in der ganzen Schweiz vertrieben. Die Familie Abbühl verkauft ihn natürlich auch selber auf der Alp. Ausschliesslich auf der Alp erhältlich sind der Mutschli und der Frischkäse.
Die wiederauferstandene Alp ist zurzeit die grösste Freude von Michael Abbühl. Mit der Alp führen er und seine Angehörigen nicht nur eine Familientradition weiter, sondern verdienen damit auch ihr tägliches Brot. «Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht. Meine Leidenschaft für diesen besonderen Fleck, der mit seinem guten Gras wie für Milchkühe geschaffen scheint, ist mein täglicher Antrieb», sagt er. Er möchte die Alpwirtschaft für die nächsten Generationen erhalten und freut sich darüber, dass nicht nur sein Bub und die beiden Töchter im Alter von 12, 13 und 16, sondern auch die Kinder seines Bruders und seines Cousins bereits begeisterte Älpler sind. Nun widmet er sich nochmals mit voller Energie dem Schlussschliff des Wiederaufbaus der Alp und freut sich auf die Tage im Oktober, wenn er ohne Tiere und ohne strengen Käsereizeitplan den Tag angehen kann. Unter anderem, um die Alp wintertauglich zu machen. «Wenn ich nicht mehr regelmässig auf die Uhr schauen muss, ist die Arbeit hier oben Genuss und Erholung zugleich.»