Pheromone sind chemische Botenstoffe, die von Lebewesen ausgesendet werden, um mit Artgenossen zu kommunizieren. Einige Pheromone locken an, andere schrecken ab. In der Landwirtschaft sind sie ein bekanntes Mittel: So helfen sie etwa dabei, Schädlingspopulationen zu überwachen und deren Fortpflanzung zu reduzieren.
Nun kommt diese Technik in einem neuen Anwendungsgebiet zum Einsatz: dem Schutz von Nutztieren. Wölfe, die in den letzten Jahren in vielen Teilen Europas wieder heimisch geworden sind, stellen für Landwirtschaftsbetriebe eine ernsthafte Bedrohung dar. Um die Angriffe auf Nutztiere zu minimieren, haben das Schweizer Biotechnologieunternehmen Tibio und das wissenschaftliche Beratungsunternehmen Studio Alpino ein Halsband entwickelt, das die natürlichen Duftstoffe eines Wolfsreviers simuliert und so den Wolf abschreckt. In Zukunft produziert und vermarktet Agroline, ein Tochterunternehmen der fenaco, das Produkt. Es soll ab März 2025 unter dem Namen «Velaris L» erhältlich sein.
Wolfrisse deutlich reduziert
Das Pheromon-Halsband basiert auf dem Prinzip, dass Raubtiere wie Wölfe ihre Reviere markieren. Indem das Halsband diesen Geruch nachahmt, glaubt der Wolf, sich bereits im Territorium eines anderen Rudels zu befinden und zieht weiter. In Praxistests, die in der Schweiz, Italien und Österreich durchgeführt wurden, konnte eine deutliche Reduktion der Wolfsangriffe nachgewiesen werden. 2022, als noch keine Pheromon-Halsbänder eingesetzt wurden, verloren die beteiligten Betriebe 135 von 1600 Tieren an den Wolf. Im Jahr 2023, nachdem 66 Prozent der Tiere mit den Pheromon-Halsbändern ausgestattet waren, sank diese Zahl auf 58 von 1532 Tieren. Das entspricht einer Reduktion der Wolfsrisse um bis zu 60 Prozent.
Christian Saglini, Vorsitzender der Geschäftsleitung von Agroline, betont: «Das Halsband allein bietet keinen 100-prozentigen Schutz vor Wolfsrissen. Aber wir stellen den Bäuerinnen und Bauern damit einen wirksamen Puzzlestein im Herdenschutz zur Verfügung». Andere Schutzmassnahmen, wie der Einsatz von Herdenschutzhunden und das Einzäunen von Weideflächen, sind zwar nach wie vor unverzichtbar, doch das Pheromon-Halsband verbessert den Herdenschutz deutlich, wenn es als Teil eines integrierten Schutzkonzepts verwendet wird.
Gérald Rime, Milchbauer in L’Isle (VD), testete das Pheromon-Halsband, nachdem seine Rinder 2022 als erste der Region auf der Alp Opfer des Wolfs wurden. Sein Vieh verbringt den Sommer jeweils im Revier des Mont-Tendre-Rudels. Im ersten Jahr, 2023, stattete er nur einen Teil seines Viehs, nämlich die Kälber, mit den Halsbändern aus. «Dieses Jahr habe ich alle meine Rinder und Kälber bereits einige Tage vor dem Alpauftrieb mit einem Halsband ausgestattet», sagt Rime. Seitdem ist seine Herde vom Wolf verschont geblieben. «Ich stelle fest, dass die Wirksamkeit umso höher ist, je mehr Tiere in einer Herde das Pheromon-Halsband tragen», erklärt Rime. Auf die Halsbänder will er auch in Zukunft setzen.
Dank ihrer langen Wirkungsdauer müssen die Pheromon-Dispenser, die sich problemlos an handelsüblichen Halsbändern befestigen lassen, nur alle fünf bis sechs Monate ausgewechselt werden. So können diese frühzeitig angebracht werden und die Tiere profitieren während der gesamten Alpzeit vom Schutz. «Um einen optimalen Schutz zu gewährleisten, empfehlen wir, mindestens 80 Prozent der Herde bereits einige Tage vor dem Weidegang mit Pheromon-Halsbändern auszustatten», betont Christian Saglini.
Weitere Schutzlösungen in Entwicklung
Das Produkt, das unter dem Namen «Velaris L» auf den Markt kommen wird, soll ab März 2025 flächendeckend über die LANDI-Agrarcenter sowie über den Agroline Online-Shop erhältlich sein. Die Markteinführung wird mit Spannung erwartet, insbesondere in Regionen, in denen Wölfe bereits erheblichen Schaden angerichtet haben. «In den Kantonen Wallis, Graubünden, Waadt und Tessin, wo die Wolfspopulation besonders stark ist, wird das Halsband als vielversprechende Lösung gesehen», sagt Christian Saglini.
Wie bei jeder neuen Technologie gibt es Entwicklungspotenzial. Davide Städler, CEO von Tibio, zeigt sich optimistisch: «Dieser Ansatz könnte beim Schutz vor Grossraubtieren in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Wir freuen uns, dass wir die Produktentwicklung mithilfe von Agroline skalieren und damit deutlich mehr Landwirtschaftsbetrieben zugänglich machen können».
Das Potenzial von Pheromonen beim Schutz von Nutztieren ist noch bei Weitem nicht ausgeschöpft. Christian Saglini und sein Team bei Agroline prüfen bereits neue Lösungen zum Schutz von landwirtschaftlichen Kulturen und in Forstgebieten.
Pheromone
Pheromone sind chemische Botenstoffe, die von Tieren zur Kommunikation genutzt werden. Sie spielen eine Schlüsselrolle im Verhalten vieler Tiere und beeinflussen Prozesse wie Fortpflanzung, Reviermarkierung und soziales Verhalten. Bei Raubtieren wie Wölfen dienen sie in erster Linie der Reviermarkierung. Sie signalisieren anderen Wölfen, dass das Territorium bereits besetzt ist, was territorialen Konflikten vorbeugt. Biologisch betrachtet wirkt das Pheromone-Halsband auf den natürlichen Instinkt der Raubtiere. Es greift einzig in das angeborene Verhalten ein und schädigt die Tiere nicht. Dies macht Pheromone zu einer effektiven Ergänzung zu herkömmlichen Schutzmassnahmen.