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Rehkitze aus der Luft retten

Stephan Rohrer hat eine Berufung: Rehkitze per Drohne und Wärmebildkamera retten. Der langjährige AGROLA-Computerspezialist gibt Einblicke auf seine Rettungsarbeit im Feld.

Mähwerke können eine tödliche Gefahr für Rehkitze sein. Teams aus Drohnenpilot*innen, Jäger*innen und Helfer*innen schwärmen vor den Mähgängen aus und retten damit jedes Jahr mehrere Tausend Rehkitze im hohen Gras. Neu engagiert sich auch Stephan Rohrer, Computerspezialist von AGROLA.

Frühmorgendlicher Einsatz für eine gute Sache

Das frühe Aufstehen macht dem 63-jährigen Stephan Rohrer nichts aus. Start war an diesem Freitagmorgen mitten im Juni um 5 Uhr morgens. Die Aussentemperatur liegt bei frischen zehn Grad Celsius. «Ideal, da so der Wärmeunterschied zwischen dem noch kühlen Feldboden und der 25- bis 35-grädigen Körpertemperatur der Rehkitze genügend gross ist», erklärt Stephan Rohrer, Computerspezialist bei AGROLA. Die Wärmebildkamera an der Drohne sichtet die Rehkitze und lässt sie auf dem Monitor als helle Punkte aufleuchten.

«Langsam bin ich schon etwas müde, da wir gestern und die Tage davor in der Früh mehrere Stunden unterwegs waren. Doch die morgendliche Stimmung über den Feldern ist wunderschön, und ich kann mich erst noch für eine gute Sache einsetzen», freut sich Stephan Rohrer. Seit Anfang Jahr ist er einer der 40 Drohnenpilotinnen und -piloten im Kanton Thurgau im Dienst der Rehkitzrettung Schweiz, einer gemeinnützigen Organisation (siehe Infobox). Häufig wird er dabei von seiner Partnerin Susanne Schoch begleitet.

Die Einsatz-Teams haben neben einer Pilotin oder einem Piloten und der Helferin oder dem Helfer immer auch eine lokale Jägerin oder einen lokalen Jäger dabei. An diesem Tag im Juni ist Peter Siegwart der Dritte im Bunde. Der Jagdaufseher der Region ist Landwirt aus Pfyn (TG) und Kartoffelproduzent der fenaco. Als Zuständiger des lokalen Jagdreviers muss er bei solchen Einsätzen dabei sein, um sich um die gefundenen Tiere zu kümmern.

Akribische Vorbereitung

Am Vorabend bereiten die Teams ihre Einsätze jeweils genau vor. Sie sichten die Felder, welche die Landwirtinnen und Landwirte gemeldet haben und programmieren deren Parameter in der Drohne. Via Kartendienst Google Maps bestimmen sie den geeigneten Startplatz für die Drohne und kennzeichnen Hindernisse wie Bäume oder Strommaste.

Stephan Roher absolviert seine Einsätze in der Regel in der Gegend rund um Müllheim (TG), seinem Wohnort. «Der Vorteil an unserem sehr frühen Start auf dem Feld ist, dass ich danach beizeiten im Büro bin», lacht er. Der gelernte Elektriker und technische Kaufmann arbeitet seit 25 Jahren als Computerspezialist für AGROLA. Wegen seines Interessens für Drohnen las er viel über deren Technik und Einsatz und erfuhr so auch von den Ausbildungsmöglichkeiten zum Drohnenpiloten beim Verein Rehkitzrettung Schweiz. «Eine Ausbildung zu machen und das Gelernte dann auch gleich für eine gute Sache einsetzen zu können, ist ja wirklich ideal», so Stephan Rohrer. «Die Ausrüstung ist Sache des Piloten. Den nötigen finanziellen Aufwand bringe ich gerne auf. Lieber setze ich den Batzen für ein persönliches Engagement ein, als diesen für eine anonyme Organisation zu spenden.»

Der Natur gegenüber verpflichtet

Die Einsätze zur Rettung der Rehkitze sind für die Landwirtinnen und Landwirte kostenlos. Immer mehr nutzen das Angebot und tauschen sich mit einem lokalen Jäger oder einer Drohnenpilotin aus oder melden ihre Felder direkt auf dem Onlineportal von Rehkitzrettung Schweiz an. «Als Jäger und als Landwirt habe ich eine doppelte Verpflichtung, die Natur und die Lebewesen zu schützen. Nebst dem Tierwohl geht es auch darum, dass das Futter nicht durch verendete Tiere vergiftet wird. In meiner Doppelrolle habe ich zwar viele lange Arbeitstage, darf aber auch viele schöne Momente erleben», erzählt Peter Siegwart.

Der angeborene «Duck-Instinkt» veranlasst die Rehkitze, sich bei Gefahr ganz still zu verhalten und an den Boden zu pressen. Nach zwei bis drei Lebenswochen verliert sich dieser Instinkt. Dennoch verlassen sich die Rehkitze immer noch auf ihre gute Tarnung und springen erst auf, wenn die Gefahr auf wenige Meter herangekommen ist. «Das Absuchen mit der Drohne ist eine zusätzliche Massnahme und ersetzt das Verblenden nicht. Letztere ist eine Massnahme, die wir in unserem Revier schon seit über 40 Jahren einsetzen», betont Peter Siegwart. Verblenden heisst: Es werden Plastiksäcke, CD's, Blinklampen oder Tücher im Feld installiert. Dies verunsichert die Rehmutter und sie holt ihren Nachwuchs aus der vermeintlichen Gefahrenzone heraus. «Dank dem Engagement aller Helfer, werden jedes Jahr mehrere Tausend Rehkitze im hohen Gras gerettet», freut sich Peter Siegwart.

Sicherste Rettungsmethode

Der Einsatz von Drohnen mit Wärmebildkameras ist die sicherste Methode, um Rehkitze vor Mähmaschinen zu retten. Dies hat die Agraringenieurin Nicole Berger zusammen mit ihrem Mann im Rahmen ihrer Anstellung bei der Berner Fachhochschule (Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften) entwickelt. «Biologie und Technik hat mich schon immer interessiert. Als eine effiziente Lösung gefragt war, um Rehkitze im hohen Gras zu orten, konnte ich diese Interessen verbinden», erzählt Nicole Berger, die früher im Bereich Pflanzenbau für die fenaco tätig war.

Nicole Berger, Erfinderin der Hightech-Suche aus der Luft
« Mit der Rehkitzrettung habe ich einen Traum verwirklicht. »

Rehkitzrettung Schweiz

Im Jahr 2017 hat Nicole Berger den gemeinnützigen Verein Rehkitzrettung Schweiz gegründet und sich damit einen Traum verwirklicht. Heute zählt der Verein über 500 Teams in der ganzen Schweiz, die ehrenamtlich arbeiten. Im 2022 überflogen die Piloten schweizweit 27 000 Hektaren Felder, die Teams retteten über 3000 Rehkitze vor dem Mähtod. «Aufgrund der stetig ansteigenden Anzahl der Teams rechnen wir im 2023 mit rund 4000 geretteten Kitze», sagt Jon Cantieni, Präsident von Rehkitzrettung Schweiz. Doch es sterben immer noch jährlich mehrere Tausend im hüfthohen Gras. Zudem kann ein verendetes Tier Giftstoffe an das gemähte Futter abgeben. Zum Vergleich: Auch auf Schweizer Strassen sterben jährlich über 8'000 Rehe oder werden so schwer verletzt, dass sie einen qualvollen Tod erleiden.

Landwirtinnen und Landwirte können sich kostenlos über die Website von Rehkitzrettung Schweiz registrieren und die Parameter der Felder angeben. Die Einsätze für die Rehkitzrettung beginnen in der Regel Mitte April und dauern bis Mitte Juli. Bis dahin haben die meisten Rehgeissen ihre Kitze zur Welt gebracht. Da erst ab dem 15. Juni die Öko-Wiesen gemäht werden dürfen, steht auf diesen Flächen sehr lange hohes Gras, Im Weiteren sind viele Ökowiesen an Waldrändern angelegt. Daher sind genau diese Flächen für die Rehe besonders geeignet um Ihren Nachwuchs zu «verstecken».

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