Um den Weinbau nachhaltig zu betreiben, gibt es verschiedene Massnahmen. Eine davon ist es, robuste Reben anzubauen. Die fenaco Tochter Rutishauser-DiVino hat im Frühling 2023 mit 2.2 Hektaren die schweizweit grösste zusammenhängende Fläche mit dem widerstandsfähigen Muscaris bepflanzt. Jürg Schönenberger, Leiter Kulturen von Rutishauser-DiVino, erklärt die Gründe dahinter.
Muscaris ist eine Piwi-Sorte. Was versteht man darunter?
Jürg Schönenberger: Piwi ist die Abkürzung für eine pilzwiderstandsfähige und somit robuste Rebsorte. Solche Pflanzen verfügen über eine besonders starke Widerstandskraft gegen die häufigsten Rebkrankheiten Echter und Falscher Mehltau sowie Graufäule. Somit können wir auf einen Grossteil der Pflanzenschutzmittel verzichten. Für die noch ein bis zwei notwendigen Behandlungen lässt sich der Muscaris zudem gut biologisch – also mit Schwefel, Backpulver und schwefelsaure Tonerde – behandeln. Bei anderen konventionellen Sorten, gar bei dem sehr unempfindlichen Sauvignon Blanc, sind sieben bis acht Behandlungen notwendig.
Weshalb sind robuste Reben immer mehr gefragt?
Die nachhaltige Bewirtschaftung ist generell in der Landwirtschaft und somit auch im Weinbau zentral. Wir möchten der Natur Sorge tragen. Eine intakte Flora und Fauna im Rebberg sind Grundvoraussetzungen für künftige Erträge. Zudem müssen unsere Reben den immer häufig auftretenden Wetterextremen standhalten. Dieser Frühling zum Beispiel war kalt und nass, es folgte ein trockener Frühsommer. Reben bleiben in der Regel 30 bis 40 Jahre stehen. Es gilt also gut zu überlegen, welche Traubensorten wir pflanzen, damit sie auch in Zukunft gedeihen und den Konsumentinnen und Konsumenten schmecken.
Seit wann arbeitet Rutishauser-DiVino mit robusten Traubensorten?
Dank den rund 50 Hektaren eigenen Rebbergen in den Kantonen Zürich, Schaffhausen, Thurgau und Graubünden können wir immer wieder Neues ausprobieren. Mit robusten Sorten arbeiten wir seit über 20 Jahren. Im Jahr 2019 lancierten wir unsere «Varietas» Weinlinie, für die wir immer wieder verschiedene robuste Sorten wie Solaris (weiss), Helios (weiss), Cabernet Jura (rot) und Léon Millot (rot) aus Wiesendangen (ZH), Neftenbach (ZH) und Neuforn (TG) kelterten. Gemäss der Nachfrage bauten wir stets nur kleinere Fläche mit robusten Sorten an. Am Goldenberg über der Stadt Winterthur pflegen wir seit vielen Jahren einen Sortengarten. Wir starteten dort mit klassischen Trauben wie dem Pino Grigio oder dem Gewürztraminer. Diesen Frühling setzten wir verschiedene robuste, weisse Sorten wie Divona, Johanniter, Souvignier gris, Muscaris, Solaris und die robusten roten Divico, Cabernet Jura, Satin Noir, Prior. Wir testen, wie sich die einzelnen Pflanzen entwickeln und nehmen Reifeproben vor. Zudem sind die jeweils rund acht Pflanzen pro Sorte mit QR-Codes versehen, so dass Interessierte mehr über die Traubensorten erfahren können.
Weshalb setzt Rutishauser-DiVino in Winterthur (ZH) grossflächig auf den robusten Weisswein Muscaris?
Bei den Konsumentinnen und Konsumenten ist auch beim Wein ein Umdenken im Gange: Sie trinken weniger und kaufen dafür verstärkt nachhaltigen und qualitativ guten Wein. Zudem sind heute Weissweine mehr gefragt als Rotweine. Bei den Kirschessigfliegen wiederum sind die Rotweine beliebter. Nach einer vierjährigen Testphase in der Rebschule sowie nach Vergleichsdegustationen und enger Zusammenarbeit mit unserem Marketing stand fest, dass der Muscaris der klare Gewinner ist. Die Muscaris-Pflanze treibt früh aus und schiesst nach Frost schnell wieder aus. Dank der lockerbeerigen Struktur ist die Anfälligkeit für Graufäule tiefer. Die Trauben reifen bei geringeren Säurewerten und bestechen durch intensive Aromen. Diese entsprechen der Intensivität, die sich die Konsumentinnen und Konsumenten von klassischen Weinen gewohnt sind. Wir sind also überzeugt, dass der Muscaris munden wird und möchten ihn in den Detailhandel bringen. Um die dazu erforderliche Menge liefern zu können, benötigen wir diese 2.2 Hektaren, die wir im Frühling in Stadel-Mörsburg (Nähe Stadt Winterthur) gepflanzt haben. Zudem können wir mit dieser Fläche auch zeigen, dass es uns mit dem robusten Weinanbau ernst ist.
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Wie gross sind die Piwi-Flächen in der Schweiz?
Wir Schweizer sind Piwi-Weltmeister: Drei Prozent und somit 438 Hektaren der insgesamt rund 14’605 Hektaren grossen Flächen an Weinreben in der Schweiz sind heute mit robusten Sorten bepflanzt. Ein solcher Anteil hat kein anderes Land. Der grösste Anteil decken die robusten Sorten Johanniter und Souvignier gris ab. Die Anbaufläche von Muscaris in der Schweiz betrug im 2022 lediglich 23 Hektaren, davon fünf Hektaren im Kanton Zürich. Mit unseren 2.2 Hektaren haben wir den Anteil nochmals kräftig erhöht.
Welche längerfristigen Ziele verfolgt Rutishauser-DiVino in Sachen Piwi?
Bis 2028 möchten wir 20 Prozent und somit zehn Hektaren unserer Eigenanbaufläche mit robusten Trauben bestücken. Aktuell haben wir auf 3.58 Hektaren der insgesamt 47.65 Hektaren robuste Sorten. Die nächste Neubestockung folgt bereits im 2024: Angrenzend zu den Muscaris-Reben in Stadel-Mörsburg pflanzen wir 1.4 Hektaren Souvignier gris. Diese Weissweintraube ist eine Kreuzung aus Seyval Blanc und Zähringer. Sie lässt sich zu saftigen, fruchtigen Weinen mit stabiler Säure ausbauen. Auch unsere 225 Traubenproduzenten möchten wir vermehrt für den Anbau robuster Sorten gewinnen. Und es soll uns gelingen, die Neugier und Begeisterung der Konsumentinnen und Konsumenten für die robusten Sorten und vielleicht auch für neue Geschmackserlebnisse zu wecken.
Wann erwarten Sie die erste Muscaris-Ernte?
Den Muscaris werden wir voraussichtlich im September 2025 erstmals ernten. Ich erwarte 600 Kilogramm Trauben, die wir in unseren Kellern in Winterthur (ZH) keltern und vinifizieren.
Welche Massnahmen nebst dem Anbau von robusten Trauben setzen Sie für die nachhaltige Bewirtschaftung um?
Zahlreiche Massnahmen setzen wir entlang der gesamten Wertschöpfungskette um. Neben der Neubestockung mit robusten Sorten werten wir auch bestehende Biodiversitätsflächen auf. Beispielsweise mit Blühstreifen, Bienenhotels, Hochstammbäume, Rebholz- und Steinhäufen als Unterschlupf für Reptilien und Insekten. Wir arbeiten vermehrt mit mechanischer Unkrautbekämpfung und setzen lokale Wetterstationen ein, um Pflanzenschutzmittel zu reduzieren. Schädlinge bekämpfen wir mit der Verwirrtechnik. Und dank der Unterstützung von der fenaco Tochter AGROLINE können wir auch immer wieder neue Geräte testen: So untersuchten wir im 2022, wie unsere Reben dank UV-Boosting ihre natürlichen Abwehrkräfte erhöhten. In den Kellereien in Winterthur (ZH) verfügen wir über eine ausgeklügelte Wärmerückgewinnung und eine grosse Photovoltaikanlage, in unserer Produktionslage in Münchenbuchsee (BE) heizen wir mit Holzpellets. Auch bei der Verpackung werden wir ökologischer – beispielsweise mit Mehrwegglas bei Habliter- und Viertelflaschen. Als grössere Produzentin und Abnehmerin von Trauben in der Ostschweiz können wir mit all diesen Massnahmen die Nachhaltigkeit im Schweizer Weinbau in einer aktiven Rolle weiter vorantreiben.
Kreuzung zu robusten Rebsorten
Bei Rebsorten mit einer grossen Abwehrkraft gegen Pilzkrankheiten und Graufäule handelt es sich um eine Kreuzung zweier Reben von verschiedenen Spezies. In der Regel werden eine europäische Rebe wie Cabernet Sauvignon oder Riesling mit einer amerikanischen Rebe gekreuzt. Bei neueren Züchtungen sind teilweise auch asiatische Reben beteiligt. Die am meisten verbreiteten robusten Sorten, die häufig auch Piwi (pilzwiderstandsfähig) genannt werden, heissen bei den weissen Trauben Johanniter, Solaris und Souvignier gris, bei den roten Divico und Cabernet Jura.
Piwi-Potenzial im Wallis
Auch die fenaco Tochter Provins mit Sitz in Sion (VS) arbeitet seit einigen Jahren mit Piwi-Sorten. Mit seinen Weinbaupartnern prüft das Unternehmen seit längerem ein Dutzend verschiedene Rebsorten, darunter Divico (rot) und Divona (weiss). Die Rebsorte Divico zeigt das grösste Potenzial hinsichtlich des ökologischen Weinbaus und des önologischen Profils. Sie gedeiht im Zentralwallis an den nach Süden ausgerichteten Hängen. Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums seiner Linie «Maître de Chais» hat Provins einen Divico-Wein zwölf Monate in Barriques ausgebaut und auf den Markt gebracht. Weinliebhaberinnen und Weinliebhaber schätzen sein intensives Bouquet mit Nuancen zwischen roten Beeren, Grenadine, Zimt und Pfefferminze. Am Gaumen zeigt sich ein süffiger und saftiger Charakter, in dem der Wein Lebendigkeit und Schmackhaftigkeit sowie feinkörnige Tannine vereint. «Ziel ist es, den Weinberg nachhaltiger zu machen und attraktive Produktionskosten für die Winzerinnen und Winzer zu erzielen», sagt Raphaël Marquis, Leiter Produktion von Provins.
Mit Rutishauser-DiVino und Provins bewirtschaftet die fenaco insgesamt 250 Hektaren (Pacht). Je nach Ernte kauft die Agrargenossenschaft Trauben von rund 600 weiteren Hektaren dazu.