In den malerischen Hügeln des Muotathals, eingebettet zwischen imposanten Berggipfeln und saftigen Wiesen, lebt und arbeitet Christian Suter. Er ist ein Meisterlandwirt, der nicht nur einen Milchwirtschaftsbetrieb führt, sondern auch eine jahrhundertealte Tradition am Leben erhält – das «Wildiheuen».
«The future is female» prangt in grossen Lettern an der Wand im Esszimmer von Christian Suter und seiner Familie, daneben die gerahmte Schwarz-Weiss-Fotografie einer unbekannten Surferin. Das Haus in Ried im Muotathal trägt deutlich die moderne Handschrift von Christians Frau Simona, die das Marketing der MAB Möbel AG leitet, das Unternehmen ihrer beiden Brüder. Der 34-jährige Landwirt wiegt behutsam seinen wenige Wochen alten Sohn Lui. Christian Suter hat 2015 den elterlichen Betrieb übernommen. Zuvor, während seiner Ausbildung zum Landwirt und Betriebsleiter, hatte er in der LANDI Schwyz jeweils Christbäume verkauft. Christians Herangehensweise an seinen Landwirtschaftsbetrieb spiegelt die Praxis vieler Bäuerinnen und Bauern im Muotathal wider: Sein Betrieb in den Bergzonen II und III konzentriert sich auf Milchwirtschaft, die Aufzucht von Kälbern sowie die betriebseigene Alpwirtschaft. Er bewirtschaftet 20 Hektaren Land. «Aufgrund der klimatischen Bedingungen können wir keine Kultur anbauen, mit der wir auch wirtschaftliche Erträge erzielen», so der Landwirt. Während des Sommers grasen seine Kühe, das eigene Jungvieh und dazu noch circa 70 fremde Rinder z’Alp auf dem Stoos. Die Milch wird von der Alpkäserei Tröligen zu diversen Produkten verarbeitet. In den Wintermonaten liefert er die Milch seiner Kühe an die Lebensmittelindustrie.
Die Tradition des Wildheuens
Christian hat sich aber noch einer weiteren Aufgabe verschrieben, dem Wildheuen. Beim «Wildiheuen» werden besonders steile Wiesen grösstenteils von Hand bewirtschaftet. Das hat in dieser Gegend der Zentralschweiz eine lange Tradition. «Bei uns ist das Wildheuen zu einem Spektakel geworden», erzählt Christian. «Die 3,5 Hektaren allein zu bewältigen, wäre aber eine Herausforderung, der ich allein nicht gewachsen bin.» Mit einer Gruppe engagierter Helfer, darunter auch Familie und Freunde, zieht er alljährlich im Sommer frühmorgens in die Berge. Wenn die Wiesen für den Motormäher zu steil werden, beginnt die Handarbeit. Das Heu wird in sechs Mal sechs Meter grosse Netze verpackt und gebündelt, bis zu 900 Kilogramm total. «Seit 2017 nutzen wir den Helikopter für den Abtransport. Zuvor haben wir das Heu in kleine Netze gepackt und an einem Heuseil ins Tal gebracht», erklärt Christian. Aber die Zeit sei begrenzt, die Arbeitsfenster schmälern sich. Eile sei daher geboten. «Früher, als unser Hof noch als Gemeinschaftsbetrieb organisiert war, gab es auch mehr Leute, die nach dem Vieh sehen konnten. Heute bin ich alleiniger Betriebsleiter und muss entsprechend rasch sein – die Kühe warten.»
Neun Flüge braucht es, um Heu und Maschine ins Tal zu bringen. Christian Suter betreut zwei gegenüberliegende Parzellen, getrennt vom Tal, in dem sein Hof liegt. Zusammen mit dem Nachbarsbauern teilt sich der Landwirt die Kosten für das Wildheuen. Günstig sind die Flüge nicht, doch zu zweit ist es für Christian Suter wirtschaftlich tragbar. Vom Bund erhalten die Wildheuer zudem einen Batzen zurück. Denn die Wildheunutzung ist eine Leistung der Landwirtschaft für die Erhaltung der bunten Vielfalt der Landschaft und somit für das Allgemeinwohl. Ohne regelmässige Beiträge wäre heute eine Weiterführung des Wildheuens undenkbar. Der eigentliche Lohn ist denn auch vielmehr ein ideologischer. «Das Erzeugen unseres Grundfutters für den Winter, die gesamte Zeremonie, sie sind Teil der DNA unseres Betriebs», so Christian. Die positive Stimmung sei wichtig für den Zusammenhalt, Herzblut und Hobby verschmelzen hier. «Der Ahnenstolz fliesst in unsere Arbeit ein.» Wildheuen ist im Muotathal aus mehreren Gründen von grosser Bedeutung: Durch das Wildheuen werden die Wiesen regelmässig gemäht, was die Artenvielfalt fördert. Denn die späte Ernte ermöglicht es Pflanzen und Kleinlebewesen, sich zu entwickeln, was wiederum die ökologische Gesundheit der Wiesen fördert. Das regelmässige Mähen der Wiesen hilft aber auch, die Vegetation zu kontrollieren und die Lawinengefahr zu reduzieren, denn die Schneedecke im Winter hat damit eine stabilere Grundlage.
Ein Blick in die Zukunft
Dieser Sommer war für die Familie Suter besonders anspruchsvoll. Nebst den strengen Tagen auf der Alp, dem frischen Nachwuchs, der im Juni geboren wurde, und dem Wildheuen hat Christian Suter im Mai begonnen, seinen Stall neu zu bauen. Aus zwei Anbindeställen wird nun ein grosser Laufstall mit Melkstand für zwei Mal fünf Kühe. Ende 2023 soll dieser fertig sein. «Es ist nochmals etwas ganz anderes, wenn du dein eigenes Bauprojekt nach deinen Wünschen realisieren kannst», schwärmt Christian. Selbst bei den anstrengenden Planungs- und Bauphasen sei es für ihn und seine Frau Simona ein erfüllendes Projekt, das in Zukunft auch Abläufe vereinfache. «Simona weiss zum Glück, was es bedeutet, einen Familienbetrieb weiterzuführen, da sie selbst in das Unternehmen ihrer Brüder eingebunden ist», so Christian. «Auch wenn sie nicht mit der Landwirtschaft aufgewachsen ist – dieser gemeinsame Wert fördert unser gegenseitiges Verständnis und die Rücksicht in hektischen Zeiten.» Natürlich hoffen die beiden, dass Söhnchen Lui eines Tages ebenfalls die Tradition seiner Eltern, insbesondere diejenige des «Wildiheuens», weitertragen wird. Bis dann vergehen aber noch einige Jahre – in denen Christian Suter die Tradition seinen Auszubildenden und den Ferienhelferinnen und -helfern weitergibt.
Wildheuen in der Schweiz
Laut verschiedenen Schätzungen und Berichten gibt es in der Schweiz noch immer mehrere Tausend Bäuerinnen und Bauern, die Wildheuen betreiben, um traditionelle Landwirtschaftspraktiken zu erhalten und die ökologische Vielfalt der Bergwiesen zu fördern. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass diese Zahlen keine genaue aktuelle Aufschlüsselung bieten und sich im Laufe der Zeit ändern können.