Corona hat auch die fenaco bewegt. Aber nicht nur das. 2020 wurde viel Kraft in die Digitalisierung der Landwirtschaft gesteckt, das Unternehmen ist neue Kooperationen eingegangen und hat zusätzliche Geschäftsbereiche erschlossen. Im Interview erklärt Martin Keller, Vorsitzender der Geschäftsleitung, warum die fenaco eine wichtige Rolle für die Schweizer Bevölkerung spielt, wie Agroline die Landwirtschaft nachhaltiger machen will und weshalb der Schweizer Wein ein grosses Potenzial hat.
Corona hat das Jahr 2020 dominiert. Wie haben Sie die letzten Monate erlebt?
Martin Keller: Als Leiter des Krisenstabs habe ich an vorderster Front miterlebt, wie sich die Corona-Krise auf die fenaco ausgewirkt hat. Die Kraft der fenaco-LANDI Gruppe und auch das Engagement unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beeindrucken mich. Als Anerkennung für den grossen Einsatz auf allen Ebenen hat die fenaco sämtlichen Mitarbeitenden eine Sonderprämie ausgerichtet. Wir sind an der Krise gewachsen, haben schnell sowie angemessen reagiert. Und: Uns ist klargeworden, welch grosse Bedeutung die fenaco Genossenschaft für die Versorgung der Schweizer Bevölkerung hat.
Sie sprechen damit die Systemrelevanz an. Die fenaco wurde vom Bund entsprechend eingestuft. Hat Sie das erstaunt?
Keller: Wir sind stolz auf die Rolle, die wir als bäuerliche Genossenschaft in diesem Land haben. Indem wir die Bäuerinnen und Bauern mit den nötigen Produktionsmitteln versorgen und die Abnahme sowie Verteilung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse gewährleisten, tragen wir massgeblich zur Deckung der Grundbedürfnisse der Menschen bei. Die Corona-Krise und die Bescheinigung des Bundes haben im Unternehmen ein hohes Verantwortungsgefühl ausgelöst.
Nicht nur die fenaco, auch die Landwirtschaftsbetriebe wurden als systemrelevant eingestuft.
Keller: Es freut mich, dass die Bedeutung der Schweizer Landwirtschaft für die Versorgungssicherheit im Land wieder stärker in den Fokus gerückt ist. Die Landwirtschaft wird deshalb auch gestärkt aus dieser Krise gehen. Die Bauernfamilien haben diese ausserordentliche Situation nämlich auf eindrückliche Art und Weise gemeistert. Trotz Unsicherheiten waren die Landwirtinnen und Landwirte äusserst flexibel, hilfsbereit und engagiert. Sie konnten jederzeit die Lieferketten sicherstellen.
Trotzdem befindet sich die Landwirtschaft im medialen Kreuzfeuer. Im Juni stimmt die Schweiz über die Trinkwasser- und die Pestizidverbotsinitiative ab. Die fenaco nimmt zu politischen Themen praktisch nie Stellung. Bei diesen Volksbegehren macht sie eine Ausnahme. Warum?
Keller: Die Initiativen bringen berechtigte Anliegen der Bevölkerung zum Ausdruck. Doch sie sind derart extrem, dass sie ihr Ziel verfehlen und nicht nur die konventionelle, sondern auch die integrierte und die biologische Produktion in der Schweiz gefährden. Die Initiativen führen zu weniger inländischer Produktion und damit zu mehr Importen und einer Schwächung der Versorgungssicherheit. Wir haben in der ersten Corona-Welle erlebt, was passiert, wenn jedes Land nur noch auf sich und die Bedürfnisse seiner eigenen Bevölkerung schaut. Gerade in der Corona-Krise stark nachgefragte Produkte wie Kartoffeln, Karotten oder Zwiebeln könnten nicht mehr im gleichen Umfang im Inland produziert werden. Werden die Initiativen angenommen, gefährdet das auch den Agrar-Forschungsstandort Schweiz und verhindert damit Innovationen. Als Genossenschaft in bäuerlicher Hand müssen wir uns dagegen wehren.
Wechseln wir das Thema. Die fenaco will die Digitalisierung der Landwirtschaft vorwärtstreiben. Wie ist der Stand?
Keller: Innerhalb der fenaco sind wir mit hohem Tempo unterwegs. Unser Ziel ist es, eine führende Rolle in der Digitalisierung der Landwirtschaft einzunehmen. Aus dieser strategischen Zielsetzung entstanden verschiedene Initiativen und Projekte. Zum Beispiel die Anicom-App, die den digitalen Tierhandel ermöglicht. Oder die Tax-App von fenaco Landesprodukte, welche die Taxation der Qualität von Kartoffeln von der Übernahme bis zur Abrechnung digitalisiert. In beiden Fällen wurde ein ganzer Papierwust abgeschafft. Die Digitalisierung dieser Prozesse schafft auch die Voraussetzungen für eine frühere Zahlung der Produkte.
Die fenaco investiert auch in den digitalen Hofmanager Barto. Wie entwickelt sich diese Lösung?
Keller: Mit Barto powered by 365 FarmNet geben wir den Schweizer Landwirtinnen und Landwirten Instrumente in die Hand, um ihre Betriebe noch nachhaltiger zu bewirtschaften, als sie das heute schon tun. Weiter erhalten sie zusätzliche betriebswirtschaftliche Kennzahlen, um präzise zu messen, wie sich beispielsweise der Einsatz bestimmter Pflanzenschutz- oder Futtermittel auf die Qualität der Produkte und die Wirtschaftlichkeit des Betriebs auswirkt. Zudem soll der administrative Aufwand verringert werden. Barto ist eine durch das Aktionariat in der Branche breit abgestützte Plattform, die offen ist für alle. Ich bin überzeugt: Es braucht in der Schweiz nur eine Plattform und einen Standard für die Landwirtschaft. Diesen Standard entwickeln wir jetzt. Ich freue mich, dass bereits so viele Partner mitziehen und sich schon mehr als 3500 Landwirtschaftsbetriebe registriert haben.
Die fenaco hat bereits Forschungskooperationen mit der ETH Zürich und Agroscope. Seit diesem Sommer besteht zudem eine Partnerschaft mit dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL. Wird die fenaco jetzt zum Bio-Unternehmen?
Keller: Für uns sind Landwirtinnen und Landwirte Unternehmer, die ihre eigenen unternehmerischen Entscheidungen fällen. Als führende Agrargenossenschaft wollen wir sie dabei optimal unterstützen – egal auf welche Produktionsform der Betrieb setzt.
Was bringt die Kooperation mit dem FiBL den Landwirtinnen und Landwirten?
Keller: Ziel des ersten gemeinsamen Projekts mit dem FiBL ist die Markteinführung eines Kupfer-Ersatzprodukts gegen den falschen Mehltau bei Reben und weiteren Pflanzenkrankheiten. Kupfer ist als Pflanzenschutzmittel im biologischen Landbau weit verbreitet. Auch in der konventionellen Landwirtschaft werden vermehrt Produkte auf Kupferbasis eingesetzt. Das ist ein Problem, denn Kupfer akkumuliert sich als Schwermetall in den Böden. Hier wollen wir Abhilfe schaffen. Die fenaco und das FiBL ergänzen sich ausgezeichnet. Das FiBL schafft mit seinen Forschungs und Beratungsteams viel Wissen und entwickelt innovative Lösungsansätze für die Praxis. Die Stärke der fenaco ist es, diese Erkenntnisse marktfähig zu machen und in die Ställe und auf die Felder zu bringen. Wir funktionieren also wie ein Transmissionsriemen zwischen Forschung und der praktizierenden Landwirtschaft – das ist auch bei den Forschungskooperationen mit der ETH Zürich und Agroscope so.
Womit wir beim Thema Pflanzenschutz wären. fenaco Pflanzenschutz und UFA-Samen Nützlinge haben sich kürzlich zu Agroline zusammengeschlossen. Was ist der Sinn und Zweck dieser neuen Einheit?
Keller: Die fenaco hat die Ambition, im alternativen Pflanzenschutz die führende Rolle in der Schweiz einzunehmen. Unter der Marke Agroline haben wir darum die verschiedenen Formen von Pflanzenschutz gebündelt. Seien es die biologischen, integrierten, konventionellen oder digitalen Verfahren, aber auch die Robotertechnologien. Denn Kombination ist im Pflanzenschutz die neue Innovation. Um die Erträge ihrer Kulturen auf möglichst natürliche Art und Weise zu sichern, müssen Landwirtinnen und Landwirte eine Vielzahl von Massnahmen richtig kombinieren. Genau dabei unterstützt sie Agroline mit seinen Beratungsleistungen und Produkten.
Im April hat die fenaco den Walliser Weinproduzenten Provins übernommen. Weshalb?
Keller: Mit Divino sind wir im Schweizer Weinmarkt schon lange erfolgreich präsent. Dazu gehören die Volg Weinkellereien, die in der Ostschweiz direkt mit den Winzerinnen und Winzern zusammenarbeiten. Mit Provins stossen wir nun in die Westschweiz vor. Provins ist ein stolzes und traditionsreiches Unternehmen, das exzellente Weine produziert. Die Walliser Winzerinnen und Winzer verstehen ihr Metier. Sie arbeiten sehr professionell. Aber es gibt auch viel Potenzial, die wirtschaftliche Basis zu verbessern. Schweizerinnen und Schweizer konsumieren mehrheitlich importierten Wein. Wir wollen den Anteil Schweizer Wein steigern. Dass dies möglich ist, beweisen wir täglich mit LANDI und Volg. In beiden Kanälen verkaufen wir über 45 Prozent Schweizer Wein, während der Schnitt im Detailhandel bei etwa 35 Prozent liegt. Es gibt zudem ein grosses Potenzial für Schweizer Wein in der Gastronomie, insbesondere in der Deutschschweiz.
Und wie will die fenaco dieses Potenzial ausschöpfen?
Keller: Eine der wichtigsten Fragen in allen Branchenorganisationen ist, ob Angebot und Nachfrage zusammenpassen. Und ob aus Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten die richtigen Produkte angebaut werden. Für die Winzerinnen und Winzer wäre zudem eine transparente Preisbildung wichtig, damit sie die richtigen unternehmerischen Entscheide treffen können und nicht am Markt vorbeiproduzieren. Beim Wein fehlt heute eine starke nationale Branchenorganisation. Es gibt viele regionale Organisationen mit politischem Fokus. In den Branchen, in denen die fenaco seit Jahrzehnten erfolgreich tätig ist, hat sie sich immer für starke, nationale und marktorientierte Branchenorganisationen eingesetzt. Dafür wollen wir uns auch beim Wein engagieren.
Und zum Abschluss: Auf welche Highlights freuen Sie sich 2021?
Keller: Ich hoffe, es wird das Jahr der Rückkehr zur Normalität. Wir alle wünschen uns ein baldiges Ende der Corona-Pandemie. Einerseits würden sich unsere Rekordumsätze im Detailhandel wieder normalisieren. Andererseits käme die Gastronomie, ein wichtiger Absatzkanal für die Schweizer Landwirtschaft, der unter der Krise stark leidet, wieder in Schwung. Vor allem aber freue ich mich darauf, dass nach dem Abklingen der Pandemie, unterstützt durch die Impfstrategie des Bundes, unsere Mitarbeitenden weniger Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind. Wir werden weitere digitale Bausteine für Barto bauen, unser Engagement in der Agrartechnik im In- und Ausland sowie für den Schweizer Wein weiter stärken. Mehrere LANDI werden zusammen mit Agrola rund zehn neue Elektro-Schnellladestationen und ein bis zwei neue Wasserstofftankstellen eröffnen. Sie leisten dadurch einen wichtigen Beitrag zur Energiewende im ländlichen Raum. Persönlich freue ich mich darauf, dass wir viele Veranstaltungen wieder physisch durchführen können. So kann ich unsere Mitglieder bei General- und Regionalversammlungen der LANDI sowie unserer Delegiertenversammlung wieder persönlich treffen. Dieser persönliche Austausch ist mir wichtig.